Samstag, 14. Oktober 2006
Waldorf Frankreich unter der Lupe
Die Waldorfeinrichtung in Lyon hebt sich im Vergleich zu den normalen Kindergärten Frankreichs sehr deutlich vom schulorientierten Kindergartenalltag ab. Die Kinder lernen hier nämlich weder das Alphabet noch die Zahlen von eins bis 20 mit entsprechendem Additions oder Subtraktionsverfahren. Auf den ersten Blick ähnelt der Kindergartenalltag unserer Einrichtung Dem eines deutschen Kindergartens. Die Kinder spielen oder lernen spielerisch nützliche Dinge wie Brotbacken oder Saftpressen. In der letzten Woche zum Beispiel aßen wir Esskastanien, die wir zuvor über selbstgemachtem Feuer gegrillt hatten. Schaut man jedoch genauer hin, kommen an vielen Ecken und Enden die Ideen Rudolf Steiners zum Vorschein. Zum Beispiel sind die Wochenabläufe immer gleich: Am Montag wird gezeichnet, am Dienstag wird was mit Knete gemacht, am Mittwoch geht es in das kleine Wäldchen auf dem Schulgelände, am Donnerstag wird dann Brot gebacken und am Freitag mit Wasserfarbe gemalt. Auch das Essen folgt diesem festen Rythmus.
Weitere Besonderheiten wären, dass keine Spielsachen oder Frühstücksdinge wie Kekse oder Schokolade von zu hause mitgebracht werden dürfen. Es gibt immer fein Obst und gespielt wird mit den selben Spielsachen.

Die gesamte Schule hat von außen einen drittweltlichen Touch, der leider auch unfreiwillig für die Geldsituation der Schule steht. Denn die Schule ist kurz gesagt arm. Sie wird nämlich nicht vom Staat subventioniert, sondern finanizert sich vor allem durch die Eltern und durch Spendenkreise. Leider ist Frankreich ein "Waldorfentwicklungsland" und die Pädagogik sehr unbekannt. Entsprechend gibt es eine handvoll französischer Waldorfeinrichtungen unter anderem auch in Paris, die übrigens vom Staat unterstützt wird. Finde ich seltsam, das Warum habe ich bisher noch nicht hinterfragt. Der mangelhafte Bekanntheitsgrad der Bewegung schlägt sich gravierend auf die Schüleranzahl der Schule und des Kindergarten nieder. So sind Jahrgangszüge mit 10 oder 15 Schülern normal, was in Deutschland ja nicht mehr denkbar ist und meines Wissens für weiterentwickelte Waldorfländer untypisch ist. Diese dürftigen Schülerzahlen lassen also kaum Geld in die Schulkasse fließen. Die finanziellen Mittel reichen aber dennoch gerade so, um die Lehrer einigermaßen zu unterhalten. Für Dinge wie Putzen, Wäschewaschen oder Reparaturen müssen dann jedoch die Eltern ran. Einen Hausmeister oder ähnliches gibt es nämlich nicht.
Auch das Stromnetz ist mehr als instabil. Am letzten Donnerstag machte ich zum Beispiel die Ofentür mit etwas mehr Schwung zu, was einen Stromausfall im gesamten Kindergarten verursachte. Grund: eine Lampe brannte zuviel. Uta erzählte mir zudem, dass in einem Klassenzimmer nicht alle Heizungen laufen könnten, wenn man das Licht anschalten wollte. Zur Wahl stehen hier also frieren oder im dunklen Unterrichten.
Das ist alles wirklich nicht schön, bietet die Schule doch neben einer angenehmen Arbeitsatmosphäre und einem familienähnlichen Klima vor allem im kreativen Bereich so viele Möglichkeiten.

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